„Ein einzigartiges Gefühl, Land zu erblicken, das noch kein menschliches Auge zuvor gesehen hat!“ Diesen Ausruf schrieb der Entdecker Ernest Shackleton 1901 in sein Tagebuch, gerade hatte er in einem Ballon zum ersten Mal Teile der Arktis überflogen.
Die Sehnsucht nach genau diesem Gefühl muss einer der Gründe für den unglaublichen Erfolg des Videospiels „World of Warcraft“ sein. Wer dort durch virtuelle Landschaften zieht, hat seit diesem Donnerstag ein neues Wagnis vor sich: Das Zusatzprogamm „Wrath of the Lich King“ ist erschienen, zu entdecken gibt es auch darin eine Eiswelt, den Kontinent Nordend. Dort lebt ein finsterer König, einst von bösen Mächten betrogen, und schart seine Todesritter um sich, um gegen die ganze Welt furchtbar zurückzuschlagen.
World of Warcraft ist ein Online-Rollenspiel und eine beispiellose Erfolgsgeschichte der digitalen Welt. Über elf Millionen Abonnenten hat das Spiel weltweit – jeder davon zahlt rund 10 Euro im Monat. Episoden von den „Simpsons“ und „South Park“ spielten in „WoW“. Ein Kinofilm soll 2009 kommen. Das Spiel dominiert einen Teil der Popularkultur.
Das funktioniert sogar bei allen Altersgruppen. Zwar hält der Hersteller Blizzard hartnäckig alle Details geheim. Als aber in England einmal ein paar Zahlen durchsickerten, bestätigten sie: Genauso viele Frauen wie Männer spielen, viele sind über 30 Jahre alt, und hinter den Zwergen, Elfen und Magiern verbergen sich Anwälte, Kassierer, Lehrerinnen, gleichsam die ganze Gesellschaft.
Die Lust an der guten alten Zeit
Der Spaß am virtuellen Selbst, das Lendenschurz, Schwert oder Zauberstab trägt, hat mit der aktuellen Mittelalter-Begeisterung zu tun. Aber er ist komplexer. Oft wird über das Spiel gesagt, es biete eine Welt, in der alles einfach ist: Man wird eben Schmied oder Fischer, lernt eine Waffe benutzen und noch etwas Reiten dazu. Gute alte Zeiten.
Bei näherem Hinsehen ist das Unsinn. Das System der Fähigkeiten und Berufe in „WoW“ ist so weit verzweigt wie die Regalsysteme des „Berufs-Informations-Zentrums BIZ“ in der Agentur für Arbeit. World of Warcraft ist nicht weit weg, sondern nah am modernen, kapitalistischen Alltag.